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Veronika Kleiner
Ich besuchte 3 Jahre die erste Klasse Volksschule in Ferlach, ehe ich in die Sonderschule versetzt wurde. Nach meiner Ausschulung mit 15 Jahren besuchte ich 1 ½ Jahre „Jugend am Werk“ zur beruflichen Integration in den Arbeitsmarkt. Von 1980 bis 1981 führte mich mein Weg in die „geschützte Werkstätte“, ehe ich 13 Jahre zu Hause war und bei meinen Eltern lebte. 1998 kam ich nach dem Tod des Vaters zu Pro Mente. Dort war ich als Betroffenenvertreterin des Tageszentrums und schließlich für ganz Kärnten tätig. Als Mitglied des Vorstandes von Pro Mente war ich mit der Vorstellung des Vereins bei Veranstaltungen, der Öffentlichkeitsarbeit und der Weiterentwicklung der Betroffenenvertretung betraut. Schon zu dieser Zeit waren das Lesen und das Schreiben für die Öffentlichkeitsarbeit sehr wichtig und für mich ein großes Problem. Ich prägte mir alles ein, was sehr schwierig war. Aufgrund der Überforderung durch zunehmende schriftsprachliche Anforderungen, den steigenden Druck und die Qual, wenn ich lesen oder schreiben musste, beendete ich meine Tätigkeit.
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Wann sind Sie in den Grundbildungskurs gekommen?
Im Jahr 2004/2005 kam ich in die Volkshochschule Kärnten. Es ist schwierig, als Erwachsene zu sagen, dass man nicht lesen und schreiben kann. Der einzige Vorteil war, dass ich nicht alleine zum Erstgespräch in der Volkshochschule gehen musste. Meine Betreuerin hat mich aufgebaut, mir gesagt, dass ich das schaffe und auch können werde, nur dass ich mich selbst trauen muss.
Das Erstgespräch war nicht so schlimm. Ich musste Fragen zu meiner Schulzeit beantworten. Dann kam ich das erste Mal in den Kurs. Ich bin schon schweißgebadet hingekommen. Die Trainerin hat mir gleich die Angst genommen, aber ich brauchte ziemlich lange, um zu verstehen, dass mir nichts passieren kann. Ich habe immer Angst gehabt, es könnte jemand da sein, der mich kennt. Reden kann ich ja, nur das Reden alleine ist nicht das Ausschlaggebende. Die Angst, dass jemand weiß, dass ich nicht lesen und schreiben kann, war riesig groß. Ich habe immer darauf geschaut, dass ich nicht mit Menschen zusammenkomme - auch in den Kursen - die mich von früher gekannt haben. Mittlerweile ist mir das auch schon egal. Aber damals, als ich die Position der Betroffenenvertreterin im Tageszentrum hatte, hatte ich eine leitende Position. Das war für mich schwierig und beängstigend, dass Leute sagen könnten, wie ich das geschafft habe, ohne lesen und schreiben zu können.
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Was war Ihr Beweggrund, einen Grundbildungskurs zu besuchen?
Meine Eltern haben nicht mehr gelebt, und ich musste meine Behördenwege erledigen. Früher hat das alles mein Vater für mich gemacht. Es war für mich schwierig, ein Formular auszufüllen. Klar könnte ich zu meinen Geschwistern gehen, aber das will ich nicht.
Meine Eltern haben immer gesagt, dass ich lesen und schreiben kann, ich müsste mich nur trauen. Aber ich sagte immer, wofür denn, ich bleibe eh zu Hause. Als der Vater 1998 gestorben ist, wusste ich, dass ich etwas tun muss. Zu Beginn haben mir die Betreuer im Tageszentrum beim Ausfüllen geholfen. Man weiß ja, wie man sich anstellen muss, dass man nicht schreiben muss. Man stellt sich einfach ein bisschen blöd an, hat ja alle Tricks drauf. Im Tageszentrum haben mir die Betreuer bald gesagt, dass ich es selbst machen soll. Wir sind dann eine Stunde beim Ausfüllen gesessen, und ich habe gesehen, dass ich es wirklich kann. Aber ich nehme heute noch meine Formulare mit ins Tageszentrum, um diese kontrollieren zu lassen. Ich gehe lieber einmal zu viel fragen, ob es richtig ist. Bin noch immer ein wenig unsicher.
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Was hat sich für Sie verändert, seit Sie im Kurs sind?
Es ist viel leichter durchs Leben zu gehen. Ich konnte zwar vorher auch mit dem Zug oder dem Bus fahren. Aber nur, wenn ich wusste, wo ich einsteigen und aussteigen muss. Dann ist aus, und ich steige nicht um. Wenn ich weiter fahre, muss ich wissen, wo ich aussteige. Die Lebensqualität hat sich gesteigert. Man sieht wieder einen Sinn im Leben
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Welche Bedeutung hat es für Sie Grundbildungsbotschafterin zu sein?
Dass ich den anderen, die es noch nicht richtig können,. die Angst nehme, dass sie sehen, dass jemand, der nicht richtig lesen und schreiben kann, auch etwas bewegen kann. Den Mut zu zeigen, dass man nicht alleine ist, dass es mehrere sind und dass es weiter geht.
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Ronald Suppik, Grundbildungsbotschafter
Mein Problem fing in der Kindheit an. Wir waren eine Familie mit sechs Kindern. Die Zeit war nicht so einfach. Es wurde nicht regelmäßig gelernt. Ich war in der Volksschule schwach, und dadurch hat mich die damalige Direktorin der Volksschule gleich in die Sonderschule geben wollen. Das ist ihr auch gelungen. So bin ich ab der 3. Klasse in die Sonderschule gegangen. Dann habe ich nicht mehr die Freude gehabt, in die Schule zu gehen. Ich bin zwar gegangen, hatte aber im Nachhinein betrachtet, abgeschaltet, da ich mich damit (mit der Sonderschule) nicht identifizieren konnte. Dadurch ist mein Manko in Deutsch hängen geblieben. Ich habe das Lesen und Schreiben zwar gelernt, aber eben nicht perfekt. Ich hatte Probleme mit der Groß- und Kleinschreibung, mit dem langen I und dem stummen H. Das war das große Manko. Dadurch habe ich mich im weiteren Leben immer wieder zurückgezogen und nicht ins Vorderfeld gedrängt, besonders beim Schreiben. Es war ja wohl so, dass ich etwas hätte schreiben müssen. Ich habe das nicht in der Öffentlichkeit gemacht, sondern die Dinge mitgenommen und privat ausgefüllt. So konnte ich nachdenken, und dann hat es meist eh gepasst. Aber so spontan war das unangenehm, weil ich unsicher war, etwas zu schreiben. Trotzdem ist das Leben weitergegangen. Ich habe die Schule abgeschlossen und eine Lehre anfangen wollen. Das war auch mit einem Manko belegt, da ich nur eine Anlehre gemacht habe. Nach Jahren habe ich festgestellt, durch meinen damaligen Meister, dass dies ein Fehler war. Ich konnte dann die Lehrabschlussprüfung nachholen. Das ist auch gut gegangen.
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Wann sind Sie in den Grundbildungskurs gekommen?
Ich glaube es war dann 2006 oder 2007, als ich im Radio gehört habe, dass die Volkshochschule Kurse anbietet. Kurse, in denen Erwachsenen im Lesen und Schreiben gefördert werden und man dies in Kleingruppen erlernen kann.
Daraufhin habe ich meine Lebensgefährtin angerufen und sie gebeten, sich die Telefonnummer aufzuschreiben. Danach habe ich den Kontakt aufgenommen und mit der damaligen Mitarbeiterin der Kärntner Volkshochschulen gesprochen. Sie hat mir alles erklärt, und ich war sehr begeistert. Ich habe kurz darauf mit dem Kurs begonnen.
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Was war Ihr Beweggrund, einen Grundbildungskurs zu besuchen?
Später dann war ich bei Vereinen tätig, zuerst beim Volkstanzen und dann beim Singen. Beim Singen wurde ich nach Jahren zum Obmann gewählt. Dann war es so weit, dass ich auch zwischendurch etwas schreiben musste. Das war der große Ansporn, einen Kurs zu machen. Vorher wollte ich das auch schon tun, aber ich musste sehr viel arbeiten und konnte durch die späten Dienste nicht gehen.
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Was hat sich für Sie verändert, seit Sie im Kurs sind?
Ich kann es nur jedem weiterempfehlen, einen Kurs zu machen, da es wirklich etwas bringt. Man bekommt ein größeres Selbstwertgefühl und die Sicherheit beim Schreiben. Nach einer gewissen Zeit macht es einem auch nichts mehr aus, etwas zu schreiben, wenn jemand daneben ist, auch wenn man Fehler macht. Ich bin für mich draufgekommen, wenn man nicht wirklich viel damit zu tun hat, dass einem die Routine fehlt, ob beim Rechnen oder beim Schreiben. Man braucht einfach eine gewisse Zeit, bis man wieder hineinfindet. Aber dann ist die Sicherheit da, und das macht mich zufrieden.
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Welche Bedeutung hat es für Sie Grundbildungsbotschafter zu sein?
Meine Motivation, Grundbildungsbotschafter zu sein, ist entstanden, weil die Leute ungerecht sind. Es fragt keiner nach, warum man Probleme mit dem Lesen und Schreiben hat, und man wird abgestempelt. Ich möchte Menschen motivieren, Kurse zu besuchen, oder sich zu informieren, welche Möglichkeiten es gibt. Es ist ja für einen selbst. Jeder Mensch kann das nachholen, wenn man es einfach nur versucht. Natürlich ist es schwierig, wenn man mitten im Leben steht, einen Schwachpunkt preiszugeben. Aber im Kurs sitzen Menschen, die auch betroffen und gleichgesinnt sind. Wenn man sieht, was man alles erreichen kann, ist das einfach toll. Ich will den Leuten zeigen, dass es kein Problem ist, das anzugehen. Weil man im Prinzip ein kleines Manko in Deutsch hat, heißt das noch lange nicht, dass man dumm ist. Man hat ja die Möglichkeit, alles nachzuholen.